Thursday 10. August 2017

Beginnt das Umdenken in der Stromwirtschaft?

Nicht alle wollen Übertragungsnetzausbau - Doch die Großen setzen sich wohl durch…

Strom-Übertragungsnetze zu betreiben und wenn möglich auszubauen ist sehr lukrativ: Das ist kein Geheimnis. Dank der Garantierenditen träumen die vier Netzgesellschaften in Deutschland davon, möglichst viele neue Höchstspannungsleitungen kreuz und quer durchs Land ziehen zu dürfen. Darüber haben wir auch im Gammel-Energie-Blog schon mehrfach berichtet.

www.gammel.de/de/Stromnetz-Wettbewerb---was-ist-das-Das-deutsche-Liberalisierungsmaerchen/blog/8093

Zumal die Leitungskonzerne Monopole haben und von Bundesregierung, Bundestag und Bundesnetzagentur ziemlich einvernehmlich bei der Ausweitung ihrer Trassenmacht unterstützt werden. Das Stichwort „Netzausbaubeschleunigungsgesetz“ sagt eigentlich alles.

Doch es gibt auch eine Anti-Trassenwahn-Bewegung in der Stromwirtschaft. Bislang war sie eher klein, unscheinbar und ohnmächtig; Stromrebellen wie die Sladeks aus dem Schwarzwald mit ihren „Elektrizitätswerken Schönau“ wurden von den „Großen“ der Szene eher belächelt denn ernstgenommen. Nun aber bekennt sich offensichtlich auch einer aus den „Top 10“ der Energiewirtschaft als Ausbaugegner. Der Regionalkonzern N-ERGIE AG aus Nürnberg – er betreibt mit seiner Tochter Main-Donau-Netz GmbH das Verteilnetz in weiten Teilen Nordbayerns und hält 20,53 Prozent der Anteile am deutschlandweit agierenden Stadtwerkekonzern Thüga AG – hat sich quasi mit Trassenkritikern wie Vereinen und dem Bund Naturschutz gegen den Ausbau der Übertragungsnetze verbrüdert.

www.bayerische-staatszeitung.de/staatszeitung/wirtschaft/detailansicht-wirtschaft/artikel/von-leitungen-kohlestrom-und-der-trassenluege.html

„Dezentralität“ ist das eine Zauberwort, für das sich die N-ERGIE sogar eine Studie der renommierten Prognos AG und der Uni Erlangen hat erstellen lassen. „Trassenlüge“ ist ein zweiter Begriff: Der stand in riesigen Lettern in dem Saal herum, in dem der Austausch mit den Trassenkritikern stattfand.

www.n-ergie.de/static-resources/content/vp_sales/resources/doc/N-ERGIE_Studie_Zellulare_Optimierung_final.pdf

Wie überall zu lesen, sollen neue, milliardenteure Leitungen von Nord nach Süd „Windstrom zu den Verbrauchern in Bayern und Baden-Württemberg“ transportieren. Umstritten sind dabei gerade die unterirdischen Hochspannungs-Gleichstromübertragungen (HGÜ) wie der SüdOstLink von Wolmirstedt nach Gundremmingen.

Doch glaubt man Wissenschaftlern wie dem Regierungs- und EU-Berater Prof. Lorenz Jarass, dann sind nicht Windkraftwerke in Norddeutschland der Grund, dass inzwischen über 10 000 Kilometer Höchstspannungsleitungen neu geplant werden. „Weil die konventionellen Kraftwerke auch dann einspeisen dürfen, wenn die erneuerbaren Energien viel Strom produzieren, wird das bestehende Stromnetz überlastet“, behauptet der Wissenschaftler. Für ihn sind am geplanten Stromnetzausbau also vor allem ostdeutsche Braunkohlekraftwerke schuld. Denen müsste die Einspeisezusage entzogen werden, dann wäre schnell Schluss mit den Riesen-Bedarfsprognosen, so sein Credo.

Gas-Speicher und -Leitungsnetz schon da

Doch eigentlich gibt es ja schon ein Leitungsnetz kreuz und quer durch die Republik. Mit nahezu unbegrenzten Aufnahmekapazitäten: Die (Fern-)Gasleitungen. Mit Power-to-Gas (P2G) könnte überschüssiger Strom aus Wind, Photovoltaik, Biomasse, ja selbst Kohle genau dorthin geleitet werden, wo Energie gerade gebraucht wird. Problem gelöst ohne Kosten für neue Stromleitungen.

www.zsw-bw.de/forschung/regenerative-kraftstoffe/themen/power-to-gas.html

Die Sektorenkopplung – das Zusammenbringen von Strom, Wärme und Mobilität – wäre damit zusätzlich gelungen. Sogar einen europäischen Verbund könnte man so schaffen ohne große Investitionen. Und ein weiteres Problem wäre ebenfalls gelöst: Der Speicher. Gas im Sommer produzieren und im Winter verbrauchen – keine Frage. Denn das Gasnetz ist der größte Energiespeicher in unserem Land und seit vielen Jahren erprobt. Blockheizkraftwerke könnten in Kraft-Wärme-Kopplung das Gas hocheffektiv in Strom und Wärme umwandeln. Und auch wenn der Umwandlungs-Wirkungsgrad von P2G (noch) ungenügend ist: Diese Nutzung ist auf jeden Fall besser, als immer öfter die Erzeuger von Ökostrom bei zu viel Stromerzeugung abzuschalten. Dieser ökonomische Totalverlust ist eine Farce.

www.bveg.de/Erdgas/Erdgasspeicher

Doch Regierung, Bundestag und Bundesnetzagentur setzen weiter auf Stromleitungsausbau. Neue Ideen wie die der N-ERGIE oder das Gasnetz beachten sie dabei leider kaum. Und die Übertragungsnetzbetreiber freuen sich: Ihre Garantierendite ist auf Jahrzehnte sicher.

(Autor: Zukunftsenergie-Team Gammel)

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